Eine Sternstunde des transkulturellen und kollektiven politischen Theaters!
Mehrsprachig / Übertitel
Manchmal muss man die Schweiz verlassen, um zu verstehen, was die Schweiz ist. Und was sie nicht ist. Zum Beispiel unbeteiligt an kolonialistischer Ausbeutung.
Im Jahre 1952 entführte der Schweizer Arzt Boris Adé sieben sogenannte «Pygmäen-Skelette» aus dem Kongo nach Genf. Er übergab sie, nebst einem Leoparden, der dortigen Universität, wo sie heute noch gelagert sind. Man kennt die Namen derer, die da in einer Kiste liegen, und weiss, woher sie kommen: aus der heutigen Provinz Haut-Uele, in der Demokratischen Republik Kongo, damals eine belgische Kolonie.
Das Ensemble der GROUP50:50, das sich aus Künstler:innen aus dem Kongo, aus Deutschland und der Schweiz zusammensetzt, reiste nach Haut-Uele, um die Nachkommen der einst aus ihrem Grab entführten Toten zu befragen, ob sie ihre Ahnen wiederhaben möchten. Nach der Religion der Mbuti kehrt mit den Überresten eines Menschen auch dessen Geist zurück. Gemeinsam mit den Nachkommen entwickelten sie ein musikalisches Ritual, in dem sich die europäische Tradition des Totentanzes und die kongolesische Totenklage begegnen. Sie führten Interviews, auch über die Abholzung des Regenwalds und die neokolonialistische Ausbeutung der Region.
So traurig und schwer dieses Thema der Restituierung ist und so kritisch Texte, Bilder und Filme Vorgänge beleuchten, die viele lieber im Dunkeln liessen: Der Theaterabend selbst ist erstaunlicherweise heiter, oft sogar lustig und versöhnlich, er lässt einen eher wach zurück als betroffen. Das ist der grandiosen musikalischen Umsetzung zu verdanken, aber auch den humorvollen mehrsprachigen und transkulturellen Sing-Dialogen. Hier nimmt sich niemand zu ernst und doch ist der Respekt gegenüber den anderen und gegenüber der Sache Dreh- und Angelpunkt des Ganzen. Eine Sternstunde des transkulturellen und kollektiven politischen Theaters!
Ach, und übrigens: mittlerweile haben die Verantwortlichen der Universität der Restituierung der Skelette zugestimmt.
Julie Paucker