Tatsächlich gibt es nicht allzu viel «Real Thrill» in der Schweizer Politik...
Tatsächlich gibt es nicht allzu viel «Real Thrill» in der Schweizer Politik. Das ist in unserer Zeit der tendenziell hysterischen Öffentlichkeit kein Nachteil – oder im Gegenteil sogar sehr wertvoll. Um die helvetische Basisdemokratie bühnenwirksam zu machen, muss aber etwas mehr geschehen als der courant normal des neutralen Föderalismus, der ja eher im Ausland Wellen erzeugt. Deswegen hat sich das Theater Neumarkt aufgemacht ihn aufzuspüren: den «einzigen Politthriller der Schweiz». Und fand ihn im Drama um die Person und Politikerin Eveline Widmer-Schlumpf. Verrat, Intrige, Polemik, Hetzerei, Sexismus, Frauenbewegung: alles da im Skandal um die Wahl der Bündner Regierungsrätin in den Bundesrat anno 2007. Die unscheinbare SVP-Politikerin wurde ein Jahr später «Schweizerin des Jahres» und löste vor allem bei den Mitte-Links-Frauen Begeisterungsstürme aus.
Und die Faszination hält an: Wer Eveline Widmer-Schlumpf schon immer mochte, kommt in der im Neumarkt durchgehend ausverkauften Inszenierung auf die Rechnung. Denn das Phänomen «EWS» wird hier verbildlicht, indem nicht nur eine Eveline die Bühne besiedelt, sondern derer elf. In einer Art skurrilem Schlumpf-Ballett defilieren zwei Ensemblemitglieder, acht Schweizer Bürger:innen und eine Slam-Poetin über den Parlament ähnlichen Unort dieser Bühne. Sie erzählen, kommentieren, swingen und singen das, was über die prominente Frau alles gesagt wurde. Und das vielleicht mehr über Schweizer Politik erzählt als über sie selbst. Textgrundlage sind neue und alte Interviews, Zeitungsartikel, O-Töne: alles dokumentarisch, alles echt. Insbesondere auch die Reden Christoph Blochers wirken, über die Lippen diverser Versionen seines verräterischen Politzöglings kommend, ziemlich absurd. Die Zitate sind klug ausgewählt und montiert, so dass nicht nur Parodie entsteht, sondern wirklich auch ein kritischer Echoraum der Politik dieses Landes.
Julie Paucker